Unter der leicht irritierenden Überschrift "Mäuse und Löwen" (Mäuse - klar, aber welches sind hier die Löwen?) berichtete der Spiegel in seiner Ausgabe 3/2015 über die miserable bis existenzgefährdende Vergütung von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten.
Simone Edlinger, seit 26 Jahren selbstständige Physiotherapeutin, hatte der Reporterin Michaela Schießl Einblicke in den Arbeitsalltag in ihrem Traumberuf verschafft. Bei 15 bis 16 € Vergütung für eine 25-minütige Behandlung musste Edlinger zum Schluss zehn Stunden pro Tag in der Praxis verbringen, um über die Runden zu kommen. Darunter litt ihre eigene Gesundheit. Als letzte Konsequenz gab sie ihre Kassenzulassung zurück und behandelt jetzt nur noch Selbstzahler und Privatpatienten.
10h pro Tag in der Praxis
Gut 30 € pro Stunden mögen manchem uninformiertem Arbeitnehmer zunächst angemessen erscheinen. Berücksichtigt man dazu aber nicht direkt honorierte Tätigkeiten, wie die Praxisorganisation, den gestiegenen bürokratischen Aufwand bei der Dokumentation der Behandlung und die von den Kassen eingeforderte Überprüfung der Arztrezepte, ergibt sich ein anderes Bild. Dazu kommen Abrechnungen und andere Tätigkeiten in der Buchhaltung und die Steuererklärung, die entweder selbst erledigt oder teuer in Auftrag gegeben werden müssen. Nicht zuletzt sind die Aufwendungen für Weiterbildung, Miete, Ausstattung der Praxis, Versicherungen und Altersrückstellungen erhebliche Kostenfaktoren, die bei allen Selbstständigen in der Gesundheitsbranche einkommensmindernd zu Buche schlagen.
Weiterbildung und Nebenkosten fressen den Gewinn auf
Die anspruchsvolle, selbst finanzierte dreijährige Ausbildung zum Physiotherapeuten wird damit oft nur mit einem Einkommen honoriert, das in den vergangenen zehn Jahren inflationsbereinigt gesunken ist, für Selbstständige aufgrund der gestiegenen Nebenkosten noch stärker als für Angestellte. Das wird sich möglicherweise in naher Zukunft in einem Versorgungsmangel der älter werdenden Bevölkerung niederschlagen. Physiotherapeut Wim Jansen, der seit 29 Jahren seine Praxis führt, berichtet in einem Video-Interview (Spiegel.de Video), er könne seine Mitarbeiter nicht angemessen entlohnen. Das führe dazu, dass er, obwohl er Arbeit für zwei bis drei zusätzliche Therapeuten hätte, einfach keine weiteren qualifizierten Mitarbeiter finde.
Beruf des Physiotherapeuten muss attraktiver werden
Vor diesem Hintergrund, auch nach Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) vom Juni 2014 scheinen die Nachwuchszahlen zurückzugehen, fordert der Deutsche Verband für Physiotherapie (ZVK), den Beruf attraktiver zu gestalten und die Vergütungen deutlich anzuheben. Mithilfe der Kampagne „38,7 % mehr wert.“ soll die bisherige ungerechte Praxis öffentlich kommuniziert und eine angemessene Bezahlung für die wichtigen Leistungen der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten durchgesetzt werden. Auch die Landesgruppen des VPT (Verband physikalische Therapie) und der VDB-Physiotherapieverband weisen in der Öffentlichkeit schon länger auf die drängenden Probleme hin. Der VD fordert einen Satz von mindestens einem Euro pro Therapieminute, damit nach der Zahlung aller Nebenkosten ein angemessenes Gehalt für die Therapeuten übrig bleibt. Das Einstiegsgehalt nach der teuren selbst finanzierten Ausbildung liegt für junge Physiotherapeuten in einigen Ländern derzeit nur geringfügig über dem gesetzlichen Mindestlohn (http://www.gehaltsvergleich.com/gehalt/Physiotherapeut-Physiotherapeutin).
Der neu gegründete „Bund vereinter Therapeuten e.V.“ bläst zum Angriff. In einem Aufruf zur Demo und Kundgebung in Leipzig am Samstag, 21. März 2015, dem sich bereits mehrere andere Verbände angeschlossen haben, fordert er die Politik dazu auf, die Zukunft für „Heilmittelerbringer und Patienten“ zu sichern.
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